Das was uns in der Schnelllebigkeit und des immer währenden Leistungsdrucks der modernen Zeiten fehlt, ist Gesundheit und Zeit. *Schlafen kannst du später wenn du tot bist*. Ein Satz, den man oft liest und hört. Um mithalten zu können wird uns früh antrainiert immer 1000% zu geben. Niemals pausieren um auch wirklich erfolgreich zu werden. Etwas ganz Großes schaffen. Am besten im Beruf und auch in der Freizeit immer alles geben. Ganz nach dem Motto: Erlebe was, geh Reisen, laufe einen Marathon und hol dir die nächste Beförderung. Höher, schneller ,weiter,ohne Rücksicht auf Verluste und ohne Rücksicht auf deinen Körper.
Das ständige erreichbar sein, noch mehr im Job geben, powern und *online* sein hat seinen Preis. Einen sehr hohen sogar. Erkältungen auskurieren?! Ach wo, bloß nicht negativ durch Krankentage auffallen. Das ziehen in der Bandscheibe?! Ach, keine Zeit für aufwendiges Training der Rückenmuskulatur. Immer weiter , wir sind unkaputtbar ,denken wir. Gesund kochen?! Wie soll ich zwischen Kind der Arbeit, dem nervigen Haushalt, dem ständigen Whatsappen und dem beantworten von Facebook Kommentaren noch Zeit zum Kochen finden? Wir bemerken es doch kaum aber es ist eine Tatsache. Wir verlernen was uns gut tut. Und noch viel schlimmer, wir verlernen unseren Körper und unsere Seele glücklich zu machen.
Laut Statistiken steigen jedes Jahr die Zahlen der psychischen Neuerkrankungen. Ob nun Depressionen, Angsterkrankungen oder das sogenannte ausgebrannt sein *Burn out*. Es trifft immer mehr Menschen. Grundsätzlich denken wir ja alle, dass uns so etwas nicht passieren kann. Das wir schon früh genug bemerken, wenn etwas nicht mit uns stimmt. Aus eigener Erfahrung kann ich aber bestätigen, dass dieser Erkrankungen oft schleichend beginnen. Das es sehr wohl zwar Vorboten gibt, die wir aber fleißig erlernt haben zu ignorieren. Natürlich wirken viele der typischen Vorboten auch erstmal recht harmlos. Müdigkeit z.B. Ist ja völlig normal. Wer ist den nicht müde?!. Unruhe z.B. bei dem ganzen Stress ja auch kein Wunder. Aber irgendwann wird es ja auch wieder ruhiger. Augenzucken, völlig normal. Bluthochdruck, ach bitte es ist die Volkskrankheit Nr.1. Immer her mit den Blutdrucksenkern und weiter geht es. Kopfschmerzen, wo ist die Packung Aspirin, aber bitte die, die ganz schnell wirken. Die Schlafstörungen liegen sicher nur an der falschen Matratze ebenso wie die ständigen Rückenschmerzen die wir schnell mal mit Paracetamol ruhig stellen. Es gibt hunderte von Anzeichen. Sie variieren von Mensch zu Mensch. Erstaunlich finde ich immer wieder, dass all diese Warnsignale als völlig normal erachtet werden. Keiner macht sich Sorgen um den eigenen Körper. Tja und dann eines Tages übernimmt unsere Psyche weil wir selbst nicht mehr im Stande sind uns zu schützen.
Rückblickend erscheint es mir als hätte mein Körper mir so viele Signale gesendet und ich sah einfach keine Notwendigkeit etwas zu verändern. Mein erster Impuls war auch, gebt mir irgendwelche Tabletten die das Problem lösen und gut ist. Es mag sein, dass es bei dem ein oder anderem sogar funktioniert aber in der Regel wird man sein bisheriges Leben verändern müssen um wieder ganz gesund werden zu können. Ich selbst nehme auch Medikamente, aber seit Jahren sehr niedrig dosiert und sie fungieren als leichte Unterstützung. Der Grad zwischen unterstützend und Abhängigkeit ist sehr schmal. Man muss herausfinden wie man dem eigenen Körper wieder zuhören kann. Viele Techniken erlernte ich in meinen Verhaltenstherapien. Wie man das Gleichgewicht zwischen gesunder Anspannung und ungesunder Anspannung hält, auch wenn es nicht immer wie gewünscht funktioniert. Und besonders müssen wir wieder lernen überhaupt zu entspannen.
Ich habe durch Entspannungstechniken erst bemerkt, wie angespannt ich überhaupt bin. Das ich permanent den Kiefer auf Anspannung habe und der Druck schon meine Zähne verschiebt machte mir klar, wie viel Kraft in uns arbeitet. Das man schlimme Verspannung hat und somit Rückenprobleme, ist oft mit Stress und mangelnder Entspannung zu erklären. Und genau das ist die größte Gefahr. Wir rennen angespannt durch die Welt, ignorieren die Signale die unser Körper uns schickt. Und dann eines Tages, wenn unser Körper im roten Bereich läuft kommt der Exit. Nichts geht mehr. Unser Körper zieht die Notbremse und wir sind außer Gefecht. Meist mit schweren Schäden die Jahre brauchen um zu heilen. Mein Tipp, nach Jahren Erkrankung und dem Kampf zurück ins Leben ist tatsächlich zu entspannen. Und damit meine ich nicht, sich nachts ins Bett zu legen und zu schlafen. Ich meine echte trainierte Entspannung.
Wie vieles muss man auch entspannen erlernen. Das was uns über Jahre abhanden gekommen ist braucht eben auch Übung um wieder angewandt werden zu können. 5-10 Minuten täglich alles ausschalten und sich nur auf die eigenen Atmung Konzentrieren. Das ist überraschend beängstigend und schwer um zu setzen. Anfänglich wird man fast wahnsinnig, weil die Gedanken im Kopf wie wild kreisen. Was koche ich heute abends zu essen? Ist die Wäsche schon im Trockner. Was zum Teufel tickt da so komisch. Ich kann so nicht sitzen. Unendliche Gedankenketten die sich im Kreis drehen. Aber,umso öfter man trainiert still zu sitzen und nicht zu denken umso besser wird es. Man darf sich nur nicht entmutigen lassen. Irgendwann merkt das Hirn:*Ah, wir machen das Handy aus und setzen uns auf dem weichen kuscheligen Teppich, jetzt kommt Entspannung* Der Körper bekommt also Routine und fährt irgendwann bei den ersten Anzeichen automatisch in den Ruhe-Modus. Es ist reine Übungssache.
Oft helfen auch geleitete progressive Muskelentspannungen. An dieser Stelle danke ich meiner Krankenkasse der Techniker, die mir sogar DVD´s mit geleiteter Muskelentspannung schickte und diverse Kurse zum Thema Stressmanagement anboten. Über einen Woll-Zuschuss würde ich mich natürlich noch mehr freuen. Aber auch ihr könnt einfach mal eure Krankenkasse anrufen und nach Kursen fragen.
Ich habe mittlerweile das stricken als Meditation gefunden. Mein Puls fährt stark runter und manchmal muss ich sogar aufhören, weil ich kurz vorm Einschlafen bin. Und das obwohl ich wegen ständigen Unruhezuständen und dadurch bedingten erhöhten Puls fast Blutdruck Tabletten hätte nehmen müssen. An meiner Art zu stricken, kann ich mittlerweile sogar ableiten, wie hoch mein Anspannungsfaktor ist. Alleine schon wie ich die Nadel halte sagt alles über meine derzeitige Stimmungslage. Stricken kann also sogar ein Spiegel sein. An manchen Tagen und mit schweren Anleitungen kommt es auch mal vor, dass ich nach kürzester Zeit Schmerzen in den Fingern und den Gelenken bekommen. Dann wird mir klar, ich muss eine Pause machen und mich ganz bewusst auf dem Teppich entspannen gehen.
Es ist wissenschaftlich erwiesen, stricken senkt den Blutdruck, baut Stress ab und stärkt das Selbstvertrauen, die Kreativität und das logische denken. Es liegt wohl an den rhythmischen Bewegungsabläufen, dem gleichmäßigen Klackern der Nadeln. Und das Belohnungszentrum explodiert förmlich wenn wir unser fertig gestricktes Werk in den Händen halten. Wir werden tatsächlich von Glückshormonen überschwemmt. Stricken kann also eine Art Therapie sein. So, wie wir routiniert unsere Zähne putzen, regelmäßig unter die Dusche gehen. Oder aber alle 3 Wochen bei der Fingernagelmaniküre sitzen, so sollten wir auch unsere Seele pflegen. Ich glaube, dass ganz viele Stricker/innen da draußen wissen und auch spüren wie viel positive Kraft dieses Hobby gibt. Mir gab dieses Hobby zudem noch das Gefühl endlich wieder selbst und ganz alleine etwas zu schaffen. Etwas ganz alleine mit den eigenen Händen und den eigenen Fähigkeiten herzustellen. Von der ersten Masche bis zum letzten vernähten Faden. Es ist magisch wie glücklich und zufrieden das Handwerk stricken macht. Eine Liebe für die Ewigkeit, für meinen Körper und meine Seele. Für mich selbst.
Stricken-Mein Yoga
Danke Torsten alias Totti, normi, cheffe für deine Kostbare Zeit, die guten Gespräche und Hasi heul doch.
6 Responses
Hey Nicky,
ich finde diese Ruhe und Entspannung mehr beim Häkeln, aber das liegt wohl an der Routine. Stricken kann ich noch nicht ganz so gut! Ich wusste auch gar nicht, dass das bereits wissenschaftlich erwiesen ist. Jetzt freue ich mich noch mehr auf das nächste Projekt 🙂 Vielen Dank dafür.
Ich sehe es auch so, dass uns der Druck, den wir bekommen und uns zusätzlich selbst machen zu totaler Überlastung führt. Man sollte wirklich besser auf sich achten und sich Zeit für Entspannung einräumen, egal was das ist.
Übrigens gibt es einen Pädagogen (Célestin Freinet), der schon über die Relevanz von „selbst etwas schaffen“ schrieb und mit Kindern u.A. die eigenen Schriftstücke in einer Druckerpresse druckte. Als ganzheitliches Produkt, der eigenen Leistung –> zum anfassen. Das man das eigenene Geschaffene in der Hand halten kann und stolz und glücklich ist. So ähnlich wie wir mit dem Stricken und Häkeln 🙂
LG. Franzi
Liebe Franzi, da werde ich mich wohl mal bei Célestin Freinet einlesen. Vielen Dank für den Hinweis. Häkeln erscheint mir übrigens auch noch etwas routinierter vom Bewegungsablauf her. Interessant, dass auch du das so empfindest.
Grüße Nicky
Bingo, genau DAS ist es! Mein Mann wird es nie verstehen, aber er respektiert es. Sogar meine Freunde wissen, dass Stricken für mich Entspannung ist, die ich DRINGENDST benötige. Und ja, die Art und Weise wie ich die Nadeln halte und ob ich gleich Schmerzen bekomme sagt mir, wie sch… es mir gerade geht! Ich bin so froh, diesen Blog gefunden zu haben!
Liebe Christa, es wird immer ein paar Zweifler und Augen-verdreher geben, die einfach nicht fühlen können wie wir es fühlen. Vielleicht ist das auch ok so. Das wichtigste aber wie du schon schreibst, dass man Respekt davor hat, was du für dein Gleichgewicht brauchst. Damit bist du schon so viel weiter als viele Menschen. Schön, dass du hier bist. Grüße Nicky
Oh Mann…jedes Wort sitzt. Es ist genau so! Schön, dass es Menschen gibt, mit denen ich mich identifizieren kann.
Das mit dem „Herunterfahren beim Stricken“ habe ich ganz genau so.
Mittlerweile kann ich sogar von mir behaupten, dass mich Handarbeiten glücklich machen. Und sowas wie Glück war vom Empfinden her lange nicht möglich bei mir!
Das einzige, was mir neben dem Stricken und Häkeln immer wieder „das Leben rettet“ ist Musik. Ich habe zig Musikordner für die verschiedensten Stimmungslagen. Ein perfekter Tag ist, mit schöner Musik im Sessel zu sitzen und die Nadeln klappern zu lassen. Und dabei die unperfekten Tage ausblenden zu können!
Ganz liebe Grüsse an Amor und danke für Deinen Text…fühl‘ Dich gedrückt!
Liebe Schumitina, vielen Dank für deinen lieben Kommentar. Es ist immer gut zu wissen, dass man da draußen nicht alleine ist. Wir alle suchen mehr oder weniger nach innerer Ruhe und Zufriedenheit. Schön, dass auch du den Weg dazu gefunden hast. Ja, auch Musik ist ein Wahnsinns Gefühls-träger. Hobbys die einen erfüllen sind so wichtig um den ganzen Irrsinn stand zu halten. Fühl dich zurück gedrückt.